Sehr geehrter Herr Gert Scobel,

in Ihrer Sendung von 17 Dezember 2021 „Wissen hoch 2“ (3Sat) zum Thema „Mit Komplexität leben“ haben Sie folgende Gäste gehabt:

Gesine Hofinger, Team HF, Ludwigsburg, Psychologin

Dirk Brockmann, Humboldt-Universität zu Berlin, Physiker

Harald Welzer, Futurzwei.Stiftung Zukunftsfähigkeit, Berlin, Sozialpsychologe

Der einführende Satz in der Mediathek zu Ihrer Sendung lautet:

„Komplexe Systeme gibt es sowohl in der Natur als auch in vielen Bereichen der Gesellschaft.“

Das ist nicht wahr. Es gibt in der Natur keine solche komplexen Systeme, welche die menschliche Komplexitätstheorie definiert hat. Und auch nicht in der Gesellschaft.

Herr Scobel, Sie sagten am Anfang: „Selbst Wissenschaftler, Berater oder Unternehmer haben Probleme zu verstehen, was es heißt, dass die Wirklichkeit komplex ist. Und was das für unser Verhalten bedeutet.“

Im Film hören wir: „Die Wirklichkeit ist komplex gestaltet. Beispiele gibt es viele. Die genetischen Codes von Lebewesen, die Nervensysteme höheren Tiere, die Formen der Arbeitsteilung bei Bienen und Ameisen, oder die Selbstorganisation von Fisch- und Vogelschwärmen. … Jedes Tier entscheidet selbst. Dennoch kommen kollektive Entscheidungen zustande.“

Schon in diesen wenigen Sätzen verstecken sich mehrere falsche (oder nicht belegbare) Behauptungen. Der genetische Code eines Lebewesens, oder sein Nervensystem, kann kein „komplexes“ System (im Sinne der traditionellen Komplexitätstheorie) sein. Sonst hätte das Leben dieses Lebewesen einen „chaotischen“, unvorhersehbaren Verlauf haben müssen. In Wirklichkeit ist das Leben sogar des größten „Chaoten“ zwischen uns doch noch durch seine soziale Umgebung steuerbar und überschaubar. Ein Nervensystem eines höher entwickelten Lebewesen erscheint uns nur solange „komplex“, bis wir begreifen, dass wir bislang nur seine niedrigste Stufe der Nervenquanten (Neuronen und anderen Hirnzellen) entdeckt und untersucht haben. Die Existenz der Stufe der Hirnquanten ist uns noch nicht bewusst. Von der Stufe der Superhirnquanten ganz zu schweigen. Aber genau diese Stufen sind unabdingbar, um das Schwarm-Verhalten zu verstehen. Und, um das Verhalten der menschlichen, sozialen Gruppen unter unterschiedlichen Umständen nachvollziehen zu können. Solche Gruppen, wie auch die Fisch- oder Vogelschwärme, organisieren sich nach den Regeln einer energetischen Hierarchie der beteiligten Quanten, und nicht nach den „logischen“ Regeln eines jeden Mitglieds einer solchen Gruppe, der zuerst, unabhängig von allen anderen, für „sich selbst entscheidet“. Das Stichwort der neuen Sichtweise muss sein: zuerst fühlen, dann denken! Und nicht umgekehrt.

Herr Scobel, Ihr Gast, Harald Welzer sieht den Unterschied zwischen einem Schwarm der Starre und einer sozialen Gruppe der Menschen ganz deutlich. Die Starre verhalten sich nur ganz natürlich. Die Menschen aber versuchen immer zuerst zu denken, die Situation „zu deuten“. Das macht die „Komplexität“ der menschlichen Problemen um einiges größer.

Der Physiker Brockmann sagt dazu: „Dieser Level von Komplexität, der durch diese selbst-refernzielle reinkommt ist weitgehend unverstanden.“

Die Psychologin Hofinger belehrt Sie nach Ihrer ersten Frage an sie: „Der Begriff der Krise hat erst mal gar nichts mit der Komplexität zu tun. … Krise muss nicht komplex sein.“

Herr Scobel, Sie haben alle drei Bemerkungen einfach ignoriert. Sie ließen sich von Ihrem geplanten Standpunkt nicht verrücken. Nicht mal umschauen, ob da welche neue Ansätze für das Thema „Mit Komplexität leben“ vielleicht wertvoller würden.

Sie wollten dagegen bestätigt bekommen, dass man in vielen komplexen Prozessen Muster erkennen kann.

Herr Brockmann sagt sofort direkt. „Nein, das glaube ich nicht“.

Dann suggerierten Sie dem Soziologen, Herrn Welzer, dass „man müsse es zumindest in der Soziologie und auch in der Politik wissen, dass man es mit komplexen Systemen zu tun hat, im Sinne von, dass sind Systeme die mit einander rückkoppeln und aufeinander einwirken. Mein Gefühl ist, dass man das bislang sehr wenig bedacht hat.“

Darauf antwortet Herr Welzer eindeutig: „Ja, ich glaube das (geschieht) aus ganz pragmatischen Gründen. … Wir denken nicht ständig darüber (über die Komplexität) nach. … Wir leben in einem ganz pragmatischen Modus von Komplexitätsreduktion. Deswegen ist das Ignorieren von Komplexität eine Basis dafür, dass wir überhaupt handeln können.“

Dann sagt noch der Physiker Brockmann den entscheidenden Satz: „Über Jahrzehnte wurden da Dinge angenommen, wo quasi die Theorie wichtiger war, als das, was man tatsächlich in der Natur beobachtet hat.“

Die Psychologin Hofinger bestätigt das auch. Und fügt noch dazu: „Die Idee, Modelle an der Realität zu überprüfen, ist natürlich immer gut.“

Dann fragen Sie Herrn Welzer direkt zu Silicon Valley und wie bei ihm die großen Versprechen der Künstlichen Intelligenz ankommen? Er antwortet, wie üblich ganz direkt: „Als sehr reduzierte Vorstellung darüber, wie Wirklichkeit funktioniert…. Menschliche Intelligenz ist in der Tat in der Lage mit Komplexität umzugehen. Sonst würden wir nicht überleben.“

Sie verstecken sich aber auch jetzt noch hinter den gedankenlos wiederholten Floskeln: „Das Problem ist, dass die Wirklichkeit immer komplexer ist als jedes Modell und jede Vorstellung, jede Theorie. … Kleine Schwankungen können zu großen destruktiven Veränderungen führen.“

Solche Behauptungen sind irreführend, also schädlich. Wäre die erste Floskel wahr, gäbe es keinen wissenschaftlichen Fortschritt (irgendwelche neue Theorie bring uns doch ab und zu näher der Wirklichkeit, als alle vorherigen). Wäre die zweite wahr, hätte man Perpetuum Mobile entdeckt (eine Methode, wie man aus kleiner Portion Energie eine große Menge Energie erzeugen kann).

Dann sagte Ihnen Herr Welzer noch einen bedeutenden Satz: „Wir müssen im Grunde genommen Paradigmenwechsel haben hin zu mehr Robustheit von Systemen, übrigens auch von Infrastrukturen, Verringerung von Verletzlichkeit, und an dieser Stelle würde das auch bedeuten – Verringerung von Komplexität.“

Auch das wollen Sie umdrehen, indem Sie den Physiker und Biologen Brockmann dazu fast nötigen zu bestätigen Ihre (auf altem Wissen der Evolutionsbiologie basierende) These, dass: „Komplexere Systeme sind eigentlich ganz robust, und nicht unbedingt die einfachen.“

Dazu Antwortet Herr Brockmann auch ganz direkt und eindeutig: „Natürliche (Öko-) Systeme sind oft sehr robust. … Das ist komplex in dem Aussehen usw., aber funktioniert natürlich nach fundamentalen sehr simplen Regeln. Aus dem kann man viel lernen“.

Trotz alledem ziehen Sie Ihre These durch: „Komplexität bedeutet eine weitaus größere Unübersichtlichkeit, Unvorhersehbarkeit, und vor allem oft prinzipielle Unberechenbarkeit. In komplexen Systemen muss man mit langfristigen Nebenwirkungen seinen eigenen Handels rechnen. Deshalb ist Nachhaltigkeit oft so schwierig. Die Folge: wir lassen es uns überhaupt mit Komplexität zu befassen und verdrängen das Thema, was das Unbehagen nur noch steigert.“

Und beenden mit der Bemerkung: „Die Wirklichkeit in der wir leben ist durch und durch komplex. Das klingt zunächst banal und einfach, hat aber weitreichende Konsequenzen, wie wir gesehen haben. Denn wir haben diese Komplexität bislang wenig verstanden, verdrängen sie oft, und vor allem unser Wissen darüber kaum umgesetzt. … Wenn die Natur tatsächlich ein Buch wäre, in dem wir lesen könnten, dann ist das weder wie ein Telefonbuch aufgebaut, noch in einer Sprache geschrieben, die wir ausreichend und genug verstanden haben. Komplexe Systeme funktionieren anders als einfache, lineare Systeme. … Eins ist klar, ohne Komplexität gebe es weder Sterne, noch Tannenbäume, noch uns.“

Sehr geehrter Herr Gert Scobel,

als ich Ihre ersten Sendungen verfolgt habe, war ich begeistert von Ihrem Ehrgeiz etwas Neues zu erfahren. Ihre Lust zum Lernen war ansteckend. Nach ein paar Jahrzehnten sind wir aber beide älter geworden. Das ist nicht komplex, das ist natürlich. Aber, dass Ihre Begeisterung der Routine zu Opfer so stark fallen werde, das habe ich nicht für möglich gehalten. Solange Sie noch von der traditionellen Naturwissenschaft als von einer „Bibel“ des Wissens berichtet haben, habe ich es dulden können. Ich dachte mir nur: na gut, der Scobel macht dem Harald Lesch nach und kreiert sein eigenes, selbstgefälliges Kosmos, nach dem Motto: Wenn ich schon heute alles weiß, dann brauche ich auch morgen nicht Neues zu lernen.

Aber mit dem Thema: „Mit Komplexität leben“ haben Sie meine Toleranzgrenze überschritten. Wenn Sie der Menschheit ein „Rezept“ für das Leben geben wollen, dann dürfen Sie nicht mehr aus Ihrer „Bibel“ vorlesen. Das sind alte Geschichten, die längst ins Museum der Wissenschaft gehören.

Sie sollen Ihre Gäste ernst nehmen. Und wenn sie Ihnen etwas sagen, was zu Ihrem geplanten Gesprächsverlauf nicht passt, dann müssen Sie sofort darauf reagieren, wie man von den Schülern auch verlangt.

Wir brauchen tatsächlich einen gewaltigen Paradigmenwechsel. Und ich wiederhole hier nur einen Satz von Herrn Brockmann: „Über Jahrzehnte wurden da Dinge angenommen, wo quasi die Theorie wichtiger war, als das, was man tatsächlich in der Natur beobachtet hat.“ Das betrifft Ihre ganze Einstellung zu der Komplexitätsfrage. Hören Sie also auf, Herr Scobel, Ihre alte „Bibel“ zu beanspruchen.

Übrigens, sowohl die Sterne, als auch die Tannenbäume, und auch uns, gibt es nach sehr einfachen, natürlichen Regeln (das hat auch Herr Brockmann versucht Ihnen mitzuteilen.)