Harald Meller, ein prominenter Archäologe, Kai Michel, ein Historiker, und Carel van Schaik, ein Evolutionsbiologe, haben gemeinsam ein wichtiges wissenschaftliches Dokument, in Form eines Buches („Die Evolution der Gewalt; Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschliche Geschichte“) im Jahr 2024 geschrieben. Hier unten zitiere ich (meistens kommentarlos) zahlreiche Fragmente aus diesem Buch, um das Thema meines Beitrags („Die Evolution der Gewalt“) wissenschaftlich zu erläutern.
(S.11) „Auf regelmäßigen Megakonferenzen, begleitet von enormem Medieninteresse, unternimmt die Weltgemeinschaft Großes, um eine einheitliche Klimapolitik durchzusetzten. Wieso geschieht nichts Vergleichbares, um das organisierte Töten auszumerzen? Warum lebt immer noch die Vorstellung fort, dass Krieg unvermeidlich sei?“
(S.18) „Wir präsentieren keine Kriegsgeschichte voller Pulverdampf und Schlachtenlärm. Das Ziel unseres Buches ist evolutionäre Aufklärung: Wir legen auf Basis des aktuellen Forschungsstandes und eigener Arbeiten eine Anamnese der Vorgeschichte des Krieges vor. Wir möchten die evolutionären Wurzeln von Aggression und Gewalt freilegen und deren Wucherungen durch die menschliche Geschichte verfolgen. So lässt sich verstehen, unter welchen Bedingungen es zu kriegerischen Eruptionen kommt und wer die eigentlichen Kriegstreiber sind. Erst eine korrekte Diagnose eröffnet die Möglichkeit, wirkungsvolle Therapien und funktionierende Prävention zu entwickeln – und das, ohne damit politisch naiv zu erscheinen.“
(S.47) „Wichtige Schritte in der Evolution verdanken sich in aller regel Klimaveränderungen. Vor 2,5 Millionen Jahren wurde es trockener. Die Wälder und gehölzreichen Landschaften schrumpften, ebenso die Feuchtgebiete, in denen die Homininen der Gattung Australopithecus den Großteil der Nahrungssuche betrieben. … Unsere Vorfahren konnten zwar weite Strecken zurücklegen und das auch ausdauernd trabend, aber sie waren keine Hochgeschwindigkeitssprinter, die so Beute gemacht hätten.
Das Geheimnis ihres Erfolgs lag darin, dass sie effektiv kooperierten und ihre Intelligenz nutzten, um neue Werkzeuge, aber auch Strategien in Sachen Nahrungserwerb und Kooperation zu erfinden. Im Laufe der Zeit wurden die Homininen zu nomadischen Jägern und Sammlern. Das ist eine völlig neue Lebensweise, die es in der Geschichte der Primaten noch nie gegeben hatte.“
(S.52) „Auf rund 300 000 Jahre vor heute werden die Anfänge des Homo sapiens angesetzt.“
(S.53) „Wie groß die Gruppen waren und wie sie sich organisierten? …. Die durchschnittliche Große solcher Gruppen beträgt circa 25 Individuen. Diese Bands sind wiederum im Netz von vertrauten anderen Gruppen organisiert, und die Menschen können recht einfach von einer Gruppe in eine andere wechseln. In guten Zeiten kommen diese sogenannten »Macro-Band« oder »Communities« gelegentlich zusammen, um Feste zu feiern, gemeinsame Rituale zu begeben und Beziehungen aller Art zu knüpfen. Sie sprechen dieselbe Sprache, sodass Macro-Bands eine ethnolinguistische Einheit darstellen. Manchmal existiert eine dritte Ebene, eine lose Konföderation verbündeter Communities mit der gleichen oder sehr ähnlichen Sprache, die oft auf gemeinsame Ursprünge zurückgeht.“
(S.107) „Das bedeutet, dass wir unter nomadischen Jägern und Sammlern, insbesondere jenen der tiefen Vergangenheit, all das nicht finden, was in sesshaften Zeiten typisch für Kriege sein wird: keine speziellen Kriegswaffen, keine Befestigungen, keine Schlachten, geschweige denn ausgedehnte Feldzüge, keine dauerhafte Besetzung des gegnerischen Territoriums, keine Vergewaltigungen von Frauen, keine Gefangenennahme und keine Versklavung von Gegnern.“
(S.115) „Die Tragweite der Erkenntnisse aus Evolutionsbiologie, Primatologie und Ethnografie ist enorm: Zum einen widerlegen sie die These eines permanenten Kriegszustands, in dem sich die menschliche Evolution vollzogen haben soll. Gewalt und Konflikte waren in der Vorgeschichte nichts Unbekanntes. Aber Kriege stellten keine ständige Bedrohung dar, und das Führen von Kriegen hat sich deshalb nicht ins Erbgut des Homo sapiens eingeschrieben, sodass Menschen ihm unausweichlich ausgeliefert wären. Zum anderen gilt auch für Menschen in Konfliktsituationen jene Herangehensweise, die schon bei Tieren, insbesondere Primaten, zu beobachten ist: Die Individuen entscheiden auf Basis ihrer vitalen Interessen durch eine Risiko- und Nutzenabwägung, ob sie zu Gewalt greifen oder nicht. Das bedeutete oft, einem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Es lohnte unter dem Strich nicht, weil der mögliche Gewinn mit zu vielen Risiken behaftet war oder schlicht zu gering ausfiel.“
(S.132) „Menschen bringen zwar die Dispositionen mit, Krieg zu führen. Sie sind aber genetisch nicht auf Krieg programmiert. Und die längste Zeit der Evolution hatten die Menschen ihre Aggressionen im Griff. Das sind die Konsequenzen, die in der hier rekonstruierten evolutionären Logik liegen. Nun gilt es zu überprüfen, inwiefern das mit der prähistorischen Wirklichkeit übereinstimmt, deren Spuren die Archäologie zutage fördert. Und vor allem herauszufinden, wann und warum das so schrecklich aus dem Ruder laufen konnte.“
(S.139) „Eine bemerkenswerte Ironie der Geschichte: Sucht man nach prähistorischen Belegen für Krieg, Mord und Totschlag, entdeckt man stattdessen Indizien von Pflege und Fürsorge. Der paläoarchäologische Befund bezeugt: Die Menschen haben sich gegenseitig geholfen und unterstützt, ansonsten wären viele Verletzungen einem Todesurteil gleichgekommen. Brüche an Armen oder Beinen konnten zu dauerhaften Einschränkungen führen, was aber dank des Beistands der Gruppe gemeistert wurde. Zudem verstand man sich schon früh auf die Wundversorgung. Es gibt Hinweise aus dem fossilen Zahnstein von Neandertalern, dass diese bereits mit Penicillin-haltigen Pflanzen experimentiert haben. Die Knochen erzählen also eher die Geschichte einer solidarischen Art als die eines Krieges aller gegen alle.“
(S.153) „Angesichts der archäologischen Fakten ist zu konstatieren: Nichts deutet darauf hin, dass sich die menschliche Evolution in einem permanenten Zustand des latenten Krieges vollzogen habe. Wir konnten mehr als eine halbe Ewigkeit bestens ohne leben. Dann änderte sich die Welt.“
(S.163) „Erst vor 11 700 Jahren begann dann mit dem Holozän jene verhältnismäßig stabile Warmzeit, in der wir heute noch leben.“
(S.164) „Erst mit dem Beginn des eigentlichen Mesolithikums und der Stabilisierung des Klimas vor 11 700 Jahren wird die Gewalt in Europa neue Formen annehmen.“
(S.165) „Zeugnis dafür ist nicht zuletzt etwas, dem wir schon in Jebel Sahaba begegnet sind: Friedhöfe. Sie sind ein Phänomen des neuen, sesshaften Lebens. … Friedhöfe schaffen Legitimation. Sie sind Territorialmarker.“
(S.168) „In einem Punkt aber haben Singh und Glowacki recht, nämlich mit der Annahme, dass uns die Archäologie nur einen kleinen Ausschnitt der einstigen Vielfalt vermitteln kann und dieser unsere Sicht verzerrt. Gerade die avanciertesten der frühen Gesellschaften könnten wie das mythische Atlantis vom Meer verschlungen worden sein. Meeresküsten boten seit eh und je ein breites Spektrum an Nahrung….
Wir haben es hier mit einem weiteren Faktor zu tun, der für die Zunahme von Konflikten gesorgt haben dürfte: Nicht erst seit heute vertreibt der Klimawandel Menschen aus ihrer Heimat – auch vor über 10 000 Jahren machten sich Menschen auf die Flucht. Der steigende Meeresspiegel zwang sie, neue Orte zum Leben zu suchen; gerade besonders menschenreiche Küstenregionen waren davon betroffen. Jahrtausendelang konnte man trockenen Fußes vom europäischen Kontinent nach England und von dort via noch nicht existenter Nordsee nach Dänemark und Südschweden gelangen. Dann versank die Region, »Doggerland«, vor etwa 7500 Jahren endgültig in den Fluten. Die dort lebenden Menschen mussten sich anderswo eine neue Heimat suchen.“
Kommentar von P.J. dazu: Es war die Zeit der größten Naturkatastrophe der Menschheitsgeschichte, des Kosmischen Sprungs der Stufe 5 der Kosmischen Hierarchie des Sonnensystems. Deswegen es war wirklich so, dass „die avanciertesten der frühen Gesellschaften, wie das mythische Atlantis, vom Meer verschlungen wurden.“ Und solche Opfer dieser Katastrophe, wie die Einwohner des Doggerlands, haben es kaum geschafft den verheerenden Tsunamis dieser Zeit zu entkommen.
(S.178) „ Das passt besten zu den bisher vorgestellten Beobachtungen: Die ersten konkret nachweisbaren kriegsähnlichen Auseinandersetzungen finden sich nach der letzten Kaltzeit bei jenen Gruppen, die begonnen hatten, sesshaft zu leben, weil sie sich in der neuen wasserreichen Welt aufs Fischen und auf die Jagt auf anderes Wassergetier verlegt haben.
Der entscheidende Faktor ist auch Helbling zufolge die »Abhängigkeit von räumlich konzentrierten Ressourcen«. … Das Land wird dank der investierten Arbeit als Eigentum betrachtet. … Man konnte sich also bei Konflikten nicht mehr aus dem Weg gehen, sondern musste bereit sein, diese auszufechten. Denn, auch das ein Novum, man war jetzt auffindbar. Erst das eröffnet die Option für geplante Überfälle. Die Sesshaftigkeit führte gewalttechnisch in eine Sackgasse.“
(S.184) „Das Konzept Eigentum ist eine kulturelle Innovation, die mit der zunehmenden Territorialität, vor allem aber dem Sesshaftwerden ihre eigentliche Tragweite entfaltet. … Das plötzliche Monopolisieren von Land war ein Affront, zumal es die Freiheit der anderen beschnitt.“
(S.186) „Andere für ein Vergehen zu bestrafen, ist neben dem Impuls, sich zu verteidigen, das einzige Narrativ, das Menschen schon immer überzeugt hat, zum Angriff überzugehen. Außerdem erklärt es die enorme Vehemenz der Gewalt. Jene, die Ressourcen monopolisieren, verhielten sich nicht mehr wie Menschen, also warum sollte man sie als solche behandeln? »Das sind ja keine Menschen!«“
(S.187) „Die Erfindung des Privateigentums scheint Pate bei der Geburt des Krieges gestanden zu haben.“
Hier unten beschreiben die Autoren des Buches einige markante Beispiele der neusten Entdeckungen ihrer Kollegen.
(S.189) „Nun hat uns die im Seeuferbereich vor Genezareth gelegene Fundstelle namens Ohalo II aus einem weiteren, für uns wesentlichen Grund zu interessieren. Hier findet sich einer der frühesten Nachweise für die systematische Nutzung von Getreiden wie wilder Gerste und Emmer. Die Anfänge der Landwirtschaft reichen viel weiter zurück als gemeinhin gedacht. Am Ufer des Sees Genezareth hatte sich vor gut 23 000 Jahren eine Gruppe von Jägern und Sammler niedergelassen. Sechs Hütten weisen auf eine mindestens saisonale Nutzung hin. Während die letzte Kaltzeit den Norden im Griff hatte, litt die Levante unter großer Trockenheit. Im Tal des Jordans, insbesondere am See Genezareth, herrschten indes paradiesische Bedingungen, der Wald war parkartig offen. Gazellen, Damwild und Hasen, auch Wasservögel und Fisch fanden sich auf dem Speisezettel. Und eben die Pflanzen vor Ort: Weit über hundert verschiedene Arten identifizierten die Archäologen. Insbesondere eine Vielfalt von Nüssen, Beeren und Früchten wurde geerntet. Ein Mahlstein zur Verarbeitung von Wildgetreide war auch in Gebrauch. Das ganze Jahr standen genügend Nahrungsquellen zur Verfügung. … In Ohalo II sehen wir eine der frühesten stationären Gruppen, deren Hinterlassenschaften später von ansteigenden See- und Meeresspiegeln verschlungen wurden. Tatsächlich ist die Fundstelle erst 1989 entdeckt worden, als der Wasserspiegel nach Jahren anhaltender Dürre mehrere Meter unter dem Normalstand lag. … Soweit wir sehen, ist Ohalo II jedoch nie als Zeugnis früher Gewalt diskutiert worden.
(S.192) „Der Nachweis von Befestigungen, wie sie etwa im irakischen Tell Maghzaliyah identifiziert wurden, ist selten. Die fehlenden Hinweise auf Fortifikationen führten dazu, dass einem der markantesten Befestigungswerke lange jeder kriegerische Charakter abgesprochen wurde: In Jericho, von dem die Bibel erzählt, allein Trompeten hätten seine Stadtmauern zum Einsturz gebracht, existierte vor über 10 000 Jahren eine 1,80 Meter breite und 3,60 Meter hohe Mauer mitsamt einem runden Turm von neun Metern Durchmesser, der heute noch acht Meter hoch erhalten ist. … Mittlerweile tendiert man dazu, Mauer und Turm von Jericho für das Offensichtliche zu halten: für eine monumentale Verteidigungsarchitektur, die älteste der Welt.“
(S.194) „Die Herausforderungen der neuen Existenzweise zeigen sich wie in einem Brennglas an einem der wundersamsten Orte des Neolithikums: in Catalhöyük, einer in der zentralanatolischen Konya-Hochebene gelegenen Megasiedlung. In der Zeit von 7500 bis 6200 v.Chr. beherbergte sie zwischen 4000 und 8000 Menschen. Straßen gab es keine, die Häuser standen Mauer an Mauer; der Zugang erfolgte über die flachen Dächer. Es dominierte noch der egalitäre Jäger und Sammler Geist: Architektonisch erhob sich keiner über den anderen. … Die Bewohner von Catalhöyük bewirtschafteten Felder, hüteten Ziegen und Schafe und führten Rinder auf die Weide. Sie gingen auch der Jagd und dem Fischen nach. … Lange wurde gerätselt, was zum Kollaps Catalhöyük führte. Große Menschenansammlungen sind vulnerabel, trotzdem ist dieses menschheitsgeschichtlich neue Experiment – Tausende von Menschen dicht gedrängt an einem Ort - erstaunlich gut gelaufen, nämlich über ein Jahrtausend.“
(S.196) „Immerhin fällt der Niedergang von Catalhöyük mit dem Exodus aus Anatolien nach Europa zusammen. … So kam die neue Nahrung produzierende Lebensweise nach Europa. Das haben Archäogenetiker in den vergangenen Jahren eindrucksvoll bewiesen. Es handelt sich demzufolge um keine Innovation, die von europäischen Jägern und Sammlern gemacht oder übernommen wurde, sondern um einen Import neolithischer Migranten. Die ersten Bauern aus Anatolien hatten das ganze »neolithische Paket« dabei: Sie brachten Getreide, Vieh und Keramik mit, aber auch eine ganz neue Saat der Gewalt.
Es verblüfft, wie schnell sich die Bauern in Europa ausbreiteten und überall dort niederließen, wo sie fruchtbare Löss- und vor allem Schwarzerdeböden fanden. Ab der Mitte des 6. Jahrtausend v.Chr. hat die Linearbandkeramik, so der Name der ersten neolithischen Kultur Mitteleuropas, die Bördegebiete Deutschlands und das Pariser Becken erreicht. Während der folgenden 300 Jahre liegen keine Nachweise für Auseinandersetzungen vor. Obgleich einzelne Siedlungen mit einem Graben umgeben waren, besaß der noch eher den Charakter einer Abgrenzung. Die friedlichen Zeiten endeten ab 5200 v.Chr. mit erheblich gestiegenen Bevölkerungszahlen sowie einer Klimaveränderung, die für Trockenheit und Ernteausfälle sorgte.
Waren dieselben Mechanismen wie in Catalhöyük am Werk? Erst nach einer Phase der Prosperierens; die dazu führte, dass alle für die frühe Landwirtschaft tauglichen Böden besetzt waren, eskalierte die Gewalt. Tatsächlich entdeckten Archäologen in dem Zeithorizont von 5200 bis 4800 v.Chr. immer mehr Hinweise auf Krieg und Massaker.“
Es muss jedoch auch hier betont werden, dass viele der entdeckten „Hinweise auf Krieg und Massaker“ auch die Opfer der Naturkatastrophe der Stufe 5 betreffen müssen.
(S.210) „Für die Spezies Mensch war die neue Lebensweise ein Erfolg, zumindest quantitativ betrachtet. Qualitativ für die Individuen dagegen nicht, im Gegenteil. Die Kosten waren immens. Die neue Ernährung war einseitiger, die Landwirtschaft eine einzige Plackerei und dann das stundenlange Mahlen des Getreides. Die Skelette sprechen eine deutliche Sprache: Die frühen Bauern sind kleiner, weniger gesund, litten häufiger unter Karies und lebten kürzer als ihre mobilen Vorfahren. Da Frauen besonders in diese Aktivitäten eingebunden waren, laugte das ihre Körper noch weiter aus. Mangelkrankheiten waren die Folge, viele überlebten Schwangerschaft und Kindbett nicht.“
(S.211) “Die in der Männerlinie organisierten Clans stellen den Rahmen für die Weitergabe, also Vererbung des Besitzes an die – meist erstgeborenen – Söhne, was bedeutete, dass sich die entstehenden Wohlstandsunterschiede über die Generationen hinweg vergrößerten. Mögliche Konsequenzen kennen wir aus der Ethnografie: Einzelne ältere Männer mit Macht nehmen sich zwei oder mehr Frauen. Schlicht, weil sie es sich leisten konnten und niemand ihnen Einhalt gebot.“
(S.212) „Soziale Ungleichheit geht damit mit reproduktiver Ungleichheit einher. Tatsächlich existiert für den Zeitraum ab etwa 5000 v.Ch. bis zum Jahr null ein »Y Chromosome Bottleneck«: Im Vergleich zum weiblichen Erbgut ging die genetische Varianz bei Männern in dieser Zeit massiv zurück. Es bestanden große Unterschiede im Fortpflanzungserfolg. Während die allermeisten Frauen Kinder bekamen, blieb ein beträchtlicher Anteil von Männern ohne Kinder. Wie dieser aus dem Erbmaterial rekonstruierte Befund mit den prähistorischen Gegebenheiten in Einklang zu bringen ist, wird derzeit diskutiert.
(S.213) „Diese Überproduktion der Eliten schuf ein enormes Gewaltpotenzial, da es junge Männer dazu ermunterte, sich ihre sozialen Status mittels Hochrisiko-Unternehmen zu erobern. Das sind Mechanismen, die erstaunlich gut den bereits vorgestellten evolutionären Logiken entsprechen. In einer martialischen Welt werden sie noch einmal kulturell verstärkt, da der Königsweg zum Ruhm fortan über den Krieg führt.“
(S.238) „Wie die ersten Staaten entstanden sind, ist ein viel debattiertes Thema. Würden sie einst als Zeichen des Fortschritts und Signum von Hochkulturen gefeiert, wandelt sich nun das Bild. Für den Historiker Charles Tilly haben wir es mit Produkten organisierter Kriminalität zu tun: Die frühen Staaten müssten als Opfer von Räubern verstanden werden, die sich in Erpressung übten. …
Auch unsere evolutionären Ausführungen legen nahe, dass die Menschen sich nicht freiwillig für ein Leben in Staaten entschieden haben. Für eine egalitäre Spezies wie den Homo sapiens handelt es sich um einen höchst erklärungsbedürftigen Wandel der sozialen Organisation. Anstatt dass die Stimme eines jeden gehört wird, teilt sich nun die Welt auf lange Zeit in Herrscher und Untertanen. Erst in der evolutionären Perspektive wird die Zäsur richtig deutlich, die alle Lebensbereiche betrifft, aber am nachhaltigsten Krieg und Gewalt: 99 Prozent der Menschheitsgeschichte trafen Individuen mehr oder weniger selbst ihre Entscheidungen, im letzten Prozent tun das andere für sie. Konnten sich Menschen vorher gegen Krieg entscheiden, werden sie nun in den Krieg geschickt.“
(S.292) „Der Unterschied zwischen 99 Prozent der menschlichen Evolution und dem letzten 1 Prozent in zivilisierten Staaten könnte kaum größer sein. Fast scheint es, als handelte es sich um zwei verschiedene Arten, als seien Menschen in kürzester Zeit aus friedlichen Bonobos zu kriegslüsternen Schimpansen mutiert. Das aber ist nicht der Fall. Es handelt sich allein um kulturelle Veränderungen – was mit umso größerer Dringlichkeit die Frage aufwirft: Warum ließen sich Menschen das gefallen? Schließlich waren sie es, die in Kriege geschickt wurden, die vor allem einer winzigen Elite, meist sogar nur Einzelnen an der Spitze des Staates nutzten. Dieser Prozess ging die längste Zeit voll auf Kosten der meisten Männer, aber auch aller Frauen. Zudem steht er im Widerspruch zur egalitären Natur der Menschen.“
Kommentar von P.J. dazu: Das ist der wichtigste Punkt des gesamten Texts des Buches: „Fast scheint es, als handelte es sich um zwei verschiedene Arten, als seien Menschen in kürzester Zeit aus friedlichen Bonobos zu kriegslüsternen Schimpansen mutiert. Das aber ist nicht der Fall.“ Doch, eben ja, das ist der Fall. Wie unser Bild der Energielieferung zur Erde während der letzten 12 000 Jahren zeigt (vergleiche auch andere Beiträge dieser Webseite), erst der letzte Quantensprung der Stufe 5 der Kosmischen Hierarchie unseres Sonnensystems beendete die Lebenszeit der Gattung der Neandertalers und gab den „Startschuss“ zum Leben unserer eigenen Gattung Homo sapiens Sapiens.

(S.295) „Gewalt als Mittel der Einschüchterung mag im Augenblick der Etablierung einer neuen Herrschaft funktionieren. Doch reiner Terror taugt nicht, Macht dauerhaft zu stabilisieren. Es wäre ein Krieg gegen die eigene Bevölkerung. … Eine unsichtbare Macht wird benötigt, die so unmerklich wirkt, dass man überhaupt ihre Existenz vergisst. … Und damit sind wir bei der Religion.“
(S.296) „Wie der Krieg ist Religion allein dann zu verstehen, wenn sie als kumulatives Produkt der biologischen und kulturellen Evolution verstanden wird – und zwar jener Entwicklungen, die in diesem Buch beschrieben wurden. Infolgedessen handelt es sich auch hier um einen Komplex, der aus verschiedenen Komponenten unterschiedlichen Alters und Ursprungs besteht. Herrschaft und Krieg spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie führten zu einer besonderen Spielart von Religion. Diese gibt sich bis heute als die einzig wahre aus und ist auf das Engste mit der Evolution der Gewalt verwoben.“
(S.299) „Der Anthropologe Stewart Guthrie spricht von »Anthropomorphisierung«: Mächtige Götter, sie sich wie Herrscher gebärden, können sich Menschen erst dann vorstellen, wenn sie mächtige Individuen kennen, die sich zu Herrschern aufgeschwungen haben, Götter tauchen also frühestens im Neolithikum im Kontext hierarchischer Gesellschaften auf. Sie sind als Widerspiegelung irdischer Realitäten eine späte Erscheinung.“
(S.300) „In Anatolien, im Herzen des Fruchtbaren Halbmonds, finden sich in der Anfangszeit des sesshaften Welt die ersten architektonischen Monumentalstrukturen, die Tempelcharakter besitzen: Die rund 12 000 Jahre alte von Göbekli Tepe ist die berühmteste. Anfangs noch den Jägern und Sammlern zugerechnet, ist in den vergangenen Jahren immer deutlicher geworden, dass deren Schöpfer bereits sesshaft waren und, wie Mahlsteine belegen, systematisch Getreide nutzten. Auf einer Bergkuppe stehen dort fünf Meter hohe steinerne Pfeiler, die in abstrahierter Weise Menschen zu repräsentieren scheinen. Sie sind zu Kreisen arrangiert, im Inneren finden sich Sitzbänke. Noch sind längst nicht alle dieser wohl zwanzig Kultrondelle ausgegraben. …
Göbekli Tepe fällt in jene Zeit, als die Jagd an Bedeutung verlor. Wird hier die alte Welt heroisch beschworen, um den Verlust dieser wichtigsten männlichen Prestigequelle zu kompensieren? …. Orte wie Göbekli Tepe gehören in den Zeithorizont eines intensivierten Ahnenkultes, … Ohne eine organisierende Instanz sei ein solch monumentales Bild- und Bauprogramm nicht zu realisieren gewesen. … Es liegt auf der Hand, in Orten wie Göbekli Tepe mehr als nur einen Kultplatz zu sehen. Es spricht alles dafür, diese als eine Urform späterer Tempel zu deuten. … Was in Göbekli Tepe Gestalt annahm, sind die Anfänge einer Religion der Gewalt und Herrschaft.“
Und noch einige Schlussfolgerungen dieses wertvollen Buches:
(S.322) „Das ist die Bredouille, in der wir heute stecken. Ihr Ausgangspunkt liegt in den beschriebenen Prozessen des Sesshaftwerdens und der Erfindung der intensiven Landwirtschaft. Sie führten zu Überbevölkerung, unstillbaren Ressourcenhunger und Hyperkonsum, aber vor allem zu herrschaftsbasierten Gesellschaften, unter denen sich Staaten als die effektivsten Kriegsmaschinen erwiesen. Sie haben der Welt ein wahrhaft belastendes Erbe hinterlassen. Die Staaten und ihre Grenzen, die ungleiche Wohlstandsverteilung innerhalb und zwischen Gesellschaften, die ethnischen und religiösen Spannungen – all das sind Konsequenzen dieser Prozesse. Menschen schlagen sich heute weltweit mit Problemen herum, deren Wurzel viele Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende zurückreichen. Das lässt die Probleme unlösbar erscheinen – und produziert neue Gewalt. …. Ist in einer vom Krieg erschaffenen Welt kein Frieden möglich?“
(S.329) „Was also ist aus unseren Erkundungen der Evolution der Gewalt zu folgen? Zunächst, dass es keine einfachen Lösungen gibt, Gewalt und Krieg zu reduzieren. Das Ziel dieses Buches war es, eine Diagnose vorzulegen, auf deren Basis funktionierende Therapien entwickelt werden können. Diese sind Aufgabe der Politik. Feststellen lässt sich aber: So schrecklich die Kriege unserer Tage auch sein mögen, gibt es keinen Grund zum Fatalismus. Wir besitzen dank der Erkenntnisse vieler Wissenschaften erstmals ein sicheres Fundament, um verlässliche Aussagen zu treffen, warum es alles andere als weltfremd ist, die kollektive Gewalt zurückdrängen zu wollen. … Der Krieg ist uns zur zweiten Natur geworden. Wir halten ihn für natürlich, aber er ist nur eine kulturelle Errungenschaft. … Der Krieg ist nackt – er ist ein Skandal.
(S.331) „Die evolutionäre Aufklärung raubt dem Krieg jegliche Legitimation.“
(S.334) „Es gibt keinen Grund, uns weiter vor uns selbst zu fürchten. Höchste Zeit, den Mut zu haben, die Welt menschengerechter zu gestalten.“
Das zitierte Buch und die Aussagen täuschen ein nicht vorhandenes wir vor. Wir führen krieg, wir müssten die Geschichte der Gewalt nur verstanden haben, usw.
Das wir gibt es nicht. Die Evolution hat zu vielen aktuellen Entwicklungen geführt, die sich nicht in einem wir wiederfinden.
Somit gibt es Gesellschaften, die aus Ihrer Geschichte nicht entkommen können, und Gewalt und Krieg als eine Bestimmung sehen. Ja, ich meine damit die russische.
Ja, Jacek, Du hast recht, wenn es um die (schriftlich gehaltene) Geschichte geht. Aus der Perspektive der Evolution ist die Menschheit jedoch nicht (wie die Autoren es belegen) auf ein Krieg “vorprogrammiert”. Die Diktatoren leben und herrschen nur solange, wie die Menschheit (als Spezies) es erlaubt oder nur toleriert.
Ganz nebenbei, ist dieses Buch die eindrucksvollste, mir bislang bekannte, Beweiskette für die Realität der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte (https://naturics.info/universal-philosophy/up37-die-groesste-katastrophe-der-menschheit/)